Wie gesundheitsgefährdend sind Spiele bei großer Hitze? Interview mit Dr. Athanasius Puskuris

15.08.2013

hitze
Wir haben uns mit Dr. Athanasius Puskuris - Teamarzt bei Bundesligist SK Sturm Graz über die Auswirkungen und Gefahren von großer Hitze bei Fußballspielen unterhalten.
11teamsports Beat The Cold Ganz Österreich stöhnt unter einer Jahrhunderthitze, auch der Fußball bleibt davon natürlich nicht unberührt. Ganz egal ob die Profis in der Bundesliga, oder alle Amateur- und Hobbykicker bis hinunter in die untersten Klassen. Temperaturen weit über dreißig Grad und dann Anstoßzeiten am frühen Nachmittag? Keine Seltenheit in den ersten Runden der Saison 2013/14, ein Umstand der natürlich viele Fragen aufwirft. Ist die Hitze gesundheitsgefährdend? Was kann ein Spieler tun um sich zu schützen? Wie kann ein Trainer die Mannschaft perfekt auf die Gegebenheiten vorbeireiten? Fragen über Fragen, die wir gemeinsam mit Dr. Athanasius Puskuris versuchen zu beantworten. Der 49-jährige Sportmediziner ist nebenberuflich auch Teamarzt beim österreichischen Bundesligisten SK Sturm Graz. Außerdem betreut er in seiner Ordination in Raaba bei Graz auch viele Fußballer persönlich, indem er sie sportmedizinisch berät.

Herr Dr. Puskuris, vor einer Woche am Donnerstag wurde in Österreich mit über 40 Grad ein neuer Hitzerekord erreicht. Ab wann wird es für die Gesundheit eines Fußballers gefährlich?

puskuris
Dr. Athansius Puskuris: „Allein von der Außentemperatur kann man es eigentlich nicht abhängig machen. Vom sportmedizinischen Standpunkt wird der WBGT-Index (nähere Erklärung über den Link und am Ende des Interviews anhand eines Bespiels) in Anspruch genommen. Da werden mit Hilfe einer Formel aus den Indikatoren Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Strahlung Werte und das damit verbundene Risiko ermittelt. Es gibt Handgeräte, mit denen man ganz einfach den Wert vor Ort bestimmen kann. Unter anderem wurde dieser Index bei der Leichtathletik WM in Berlin 2009 verwendet.“

Ab welchen Bereichen sprechen wir hier von einer Gesundheitsgefährdung?

„Zwischen 23,1-28 wird es gefährlich, ab einem Wert von 28 sogar extrem gefährlich. Bei einem Wert unter 10 droht hingegen Unterkühlung. Da geht es aber nicht um die Temperatur an sich wie gesagt, sondern um einen Querschnitt dieser drei Faktoren. Diese Werte wurden von American College of Sports Medicine für den Sport und auch für die Amerikanische Marine festgelegt.“

Was läuft bei diesen Temperaturen im Körper genau ab?

„Je höher die Außentemperatur umso schlechter kann der Körper seine eigene Temperatur, welche normal zwischen 36,5 und 37,5 liegt, regulieren. Ab einer Außentemperatur von 36 Grad kann der Körper keine Wärme mehr abstrahlen, er kann Wärme nur mehr durch verdunsten loswerden. Je höher also Temperatur und Luftfeuchtigkeit sind, umso gefährlicher wird es für den Körper. Es kann vorkommen, dass ein Körper dann bis zu zwei Liter Flüssigkeit pro Stunde verliert. Es kann dabei gleichzeitig auch zu einem deutlichen Salzverlust kommen. Man kann grob umfassend sagen, ab 39 Grad Körpertemperatur gibt es erste körperliche Defizite – Schwindel, Delirium. Ab 40 Grad kann es zum Hitzschlag kommen mit Erbrechen – das ist ein akuter medizinischer Notfall – da kann es bis zum Koma gehen. Dann gibt es eine Sterblichkeitsrate von 10 bis 80 Prozent.“

Vor kurzem gab es im Bundesligaspiel zwischen Sturm Graz und dem SV Grödig schon das erste Hitzeopfer. Was ist dem Spieler eigentlich genau passiert, war es ein Hitzeschlag?

„Es gab offenbar durch die Belastung einen enormen Anstieg der Körperkerntemperatur. Dadurch hatte er Kreislaufprobleme, einhergehend mit Erbrechen und Krämpfen. Es waren die Symptome eines Hitzeschlages, wir sprechen hier von einem, wie eben beschriebenen medizinischen Notfall, wo es ohne rechtzeitige Notfallmaßnahmen zu schlimmen Folgen kommen kann.“

Wenn so etwas einem austrainierten Fußballprofi passieren kann, ist dann nicht die Gefahr bei einem Amateurspieler noch viel größer?

„Natürlich ist die Gefahr dort viel höher. Wir hatten die Spieler ja schon durch Trainingszeiten an die steigenden Temperaturen vorbereitet. Da gab es in der Vorbereitung auf das Spiel eine Akklimatisierung, um den Körper nach und nach an die hohen Temperaturen zu gewöhnen. Amateurspieler haben diese Möglichkeit natürlich nicht. Die Gefahr im Amateurbereich ist hier also um einiges höher, da man im Training die Spieler nicht auf diese Verhältnisse hin adaptieren kann.“

Spiele auf Kunstrasen verstärken die Gefahr durch Hitze enorm!
Dr. Puskuris

Sie waren natürlich sofort zur Stelle und der Spieler bekam eine perfekte Erstversorgung, in den unteren Ligen kann leider nicht so gut reagiert werden. Welche Sofortmaßnahmen müssen bei einem Kreislaufkollaps oder Hitzeschlag gesetzt werden?

„Es geht hier um Notfallmedizinische Maßnahmen. Eispackungen zur sofortigen Senkung der Körpertemperatur und Medikamente um den Kreislauf zu stabilisieren. Eiswasserbäder wären der Idealfall, dort kann man die Körpertemperatur pro Minute um 0,2 Grad senken, bei kalten Handtüchern oder Eiswickeln beträgt die Senkung nur 0,04 Grad pro Minute. Sollte die Körpertemperatur über einen längeren Zeitraum über 41 Grad liegen, kann es zu bleibenden Schäden führen.“

Was darf man auf keinen Fall machen, könnten unerfahrene Rot Kreuz Helfer auch schwerwiegende Fehler machen?

„Man sollte den Spieler auf keinen Fall in der Sonne liegen lassen. Es geht darum eine Schocklagerung (Beine hoch) herbeizustellen. Wenn Erbrechen dazu kommt muss die Schocklagerung in eine stabile Seitenlagerung gebracht werden, sonst könnte der Spieler an seinem eigenen Erbrochenen ersticken. Am wichtigsten ist es sofort den Notarzt zu verständigen.“

Wie kann sich ein Spieler selbst ideal auf ein Hitzespiel vorbereiten?

„Man muss über den ganzen Tag verteilt ausreichend Flüssigkeit in kleinen Mengen zu sich nehmen, auch mit ausreichend Zuckergehalt. Wenn die Temperatur hoch ist, werden die Zuckerreserven des Körpers primär beansprucht, erst danach werden die Fettspeicher angegriffen. Dadurch kommt es auch früher zur Ermüdung. Es sollte kein Wasser allein sein, am besten vermengt mit Glukose und Elektrolyten. Getränke dürfen aber nicht zu konzentriert sein, sonst tritt ein entgegengesetzter Effekt ein. Dann wird dem Körper nämlich eher Zucker entzogen als gespeichert. Hier gilt weniger ist mehr.

Sollte man neben der Flüssigkeitsaufnahme auch beim Essen auf etwas achten?

„Es gilt möglichst leicht verdauliche Speisen (Nudeln, Reis, gekochtes Gemüse – kein rohes Gemüse) zu sich nehmen. Alles schwerverdauliche (Salate, fetthaltige Nahrung, Obst), führt dazu, dass das Blut im Zentrum bleibt und somit die Muskeln nicht ausreichend versorgt werden.“

Eine Amateurmannschaft kann sich auf Hitzespiele eigentlich nicht gezielt vorbereiten.
Dr. Puskuris

Muss ein Trainer im Rahmen der Spielvorbereitung irgendetwas anders machen bei 35 Grad im Vergleich zu 25?

„Nein da gibt es keine Möglichkeiten, es kursieren zwar viele Gerüchte und Halbwahrheiten, die aber allesamt nicht stimmen. Die einzige Möglichkeit wäre es wie gesagt, den Körper kontinuierlich auf die Hitze vorzubereiten, was aber natürlich nur im Profibereich möglich ist. Bei Amateurmannschaften ist es ja im Normallfall nicht möglich in der Mittagszeit oder am frühen Nachmittag zu trainieren. Man sollte als Trainer versuchen vor dem Spiel einzuwirken, z.B. mit Kühlwesten zu arbeiten. Dies ist bei den meisten Teams aus Kostengründen natürlich nicht möglich, deshalb kann man eigentlich nur darauf achten, die Körpertemperatur nicht schon vor dem Spiel zu erhöhen. “

Worin besteht die größte Gefahr?

„Sport unter hohen Umgebungstemperaturen ist bei hoher Belastung natürlich mit einem hohen Gesundheitsrisiko zu bewerten. Durch Veränderungen im Stoffwechsel kann es zu Schäden der Muskulatur kommen, da sie nicht ausreichend mit Sauerstoff, Zucker und Salz versorgt. Dadurch kann ein Spieler anfälliger für Muskelfaserrisse werden, oder ähnliche Muskelverletzungen. Natrium, Magnesium fehlen, dadurch ist der Muskel dann unterversorgt. Zusätzlich wird auch die Haut übermäßig durchblutet, da sie Wärme abgeben muss, dadurch wird der Muskel nicht so stark durchblutet. Die größte Gefahr besteht natürlich im bereits angesprochenen Hitzeschock.“

Sport unter hohen Umgebungstemperaturen ist bei hoher Belastung natürlich mit einem hohen Gesundheitsrisiko zu bewerten.
Dr. Puskuris

Einige Mannschaften bestreiten ihre Heimspiele auf Kunstrasen, verschärft das die Situation zusätzlich?

„Natürlich. Durch den Kunstrasen entstehen noch höhere Temperaturen. Die Wärme wird ja nicht von der Erde kompensiert, sondern sofort wieder reflektiert. Das kennt man auch vom Urlaub am Sandstrand. Es wirkt eine doppelte Strahlung von oben und unten auf den Körper. Da müsste man wirklich hinterfragen und prüfen ob es nicht gesundheitsschädlich ist. Mein Vorschlag wäre es, den WBGT-Index zur Hilfe zu nehmen um das medizinische Risiko wirklich genau abzuschätzen. Das kann man im Internet abrufen. Auch Wetterstationen informieren auf Anfrage. Es gibt außerdem Handgeräte, die direkt bei den Sportstädten eingesetzt werden können.“

Immer wieder wird behauptet schwarze oder dunkle Trikots würden den Hitzeeffekt noch verstärken – Wahrheit oder Ammenmärchen?

„Es ist korrekt. Dunkle Trikots ziehen Wärme mehr an als Helle. Es ist auch die Art des Trikots wichtig, es sollte möglichst luftdurchlässig sein. Am wichtigsten ist es hier, atmungsaktive Trikots zu verwenden, da ansonsten die Wärmeabgabe durch den Schweiß verhindert werden könnte.“

Nehmen wir auch ein wenig die Organisation in die Pflicht. Auf gefrorenem Boden wird verständlicherweise nicht gespielt, da die Gesundheit der Spieler in Gefahr ist. Bei enormer Hitze wird allerdings nur eine Trinkpause ziemlich in der Mitte der beiden Spielhälften verordnet. Ab welcher Außentemperatur dürfte ein Spiel aus medizinischer Sicht eigentlich nicht mehr angepfiffen werden?

„Sollte man eigentlich aus medizinischer Sicht schon fordern. Hier sollte man wie gesagt nach der WBGT-Tabelle vorgehen und ab einem Wert von 28 ein Spiel nicht mehr anpfeifen. Es wäre zumindest eine Hilfestellung um gröbere Verletzungen zu vermeiden bzw. zu reduzieren. Den im Endeffekt reagiert natürlich jeder Spieler anders auf Hitze, da kommen viele Faktoren zusammen wie Alter oder Fitnesszustand.“
 



Anmerkung – Erklärung WBGT-Index anhand eines Beispiels:

Bei einer Außentemperatur von 25 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von 20 Prozent erhöht sich die Körpertemperatur bei großer Anstrengung auf ca. 38,4 Grad.

Bei einer Außentemperatur von 25 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von 90 Prozent erhöht sich die Körpertemperatur bei großer Anstrengung auf ca. 39,5 Grad

Anhand der Formel im beigefügten Link kann der Risikowert laut WBGT-Index bei Spielen ganz einfach errechnet werden.

Unter dem Kürzel Tw versteht der Sportmediziner die natürliche Feuchttemperatur, also der Grad der Luftfeuchtigkeit.

Unter dem Kürzel Tg versteht der Sportmediziner die Strahlung der Wärme, also vereinfacht gesagt die gefühlte Temperatur. (Wenn man bei 35 Grad in der prallen Mittags- oder Nachmittagssonne auf Kunstrasen steht, beträgt die gefühlte Temperatur etwa 45-50 Grad)

Das Kürzel Td steht für die gemessene Außentemperatur.

Nimmt man also für dieses Beispiel eine Luftfeuchtigkeit von 20 Prozent an, eine „gefühlte Temperatur“ von 40 Grad und eine Außentemperatur von 30 Grad so ergibt sich der Wert von 25 (20*0,7 + 40*0,2+30*0,1 =25). Damit befänden wir uns im hohen Gefahrenbereich laut der Skala.

Martin Löscher
Martin Löscher - Administrator
ml@regionalliga.com

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